Südamerika Blog von Viventura

Chile: Den Plaza de Armas erleben

Geschrieben von Viventura | 26.10.09 15:36

Jeden Morgen, wenn ich zu unserem Viventura-Büro in Santiago de Chile fahre, steige ich an der Metro-Station aus, die sich im Stadtzentrum befindet, und überquere dann den Hauptplatz der Stadt, den sogenannten Plaza de Armas. Das Büro befindet sich nur eine Straße hiervon entfernt und oftmals, wenn ich über den Plaza gehe, habe ich Lust, mich eine Weile hier hinzusetzen, um die Menschen und das ganze Geschehen dieses Ortes zu beobachten.

Heute habe ich beschlossen, genau dies zu machen. Ich habe mir einen halben Tag Zeit genommen, mich auf die Plaza zu setzen, um zu beobachten, um mit den Leuten zu sprechen, um den Platz zu erleben.

Ich nähere mich der Metro-Station und schon befinde ich mitten im Trubel, welcher sehr typisch für diesen Ort ist. Ich laufe bis ans andere Ende der Plaza und setze mich zu Leuten auf eine Bank. Von hier aus habe ich den ganzen Platz im Blick und kann mir notieren, was ich wahrnehme. Was für ein schöner Ort! Umgeben von Gebäuden im Kolonialstil, wie die Kathedrale von Santiago, die Zentralpost, das Rathaus und das Nationalmuseum für Geschichte. Durch die vielen Palmen auf der Plaza erscheint alles in einem ständigen sommerlichen Glanz. In der Mitte des Platzes befindet sich ein Springbrunnen und drumherum auf dem Boden ein riesiger Schwarm von Tauben, die auf ihrer Suche nach Futter ab und zu von Kindern aufgescheucht werden. Viele Leute überqueren den Platz, die meisten mit eiligen Schritten. Aber es gibt auch Touristen, die mit Ruhe über den Plaza de Armas schlendern und hier und dort Fotos schießen. Am Kopf des Plaza, in dem kleinen Pavillon, stellen sie gerade Schachtische auf, wo man am Nachmittag die älteren Herren spielen sehen kann.

Eine Gruppe Jugendlicher jongliert mit Bällen und Keulen. Vor ihnen, auf den Bänken, die den Platz umrunden, sitzen viele Leute, die sich ausruhen oder einfach nur frische Luft schnappen. Neben mir sitzt ein junges Pärchen, das sich umarmt und sich gegenseitig Liebeleien zuflüstert. Ich dachte mir, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis mich jemand anspricht, und so war es dann auch.

Ein kleiner, etwas schmuddeliger Mann nähert sich hinkend. Ich möchte eine Münze aus meinem Portemonnaie holen, um sie ihm zu geben, als er sich neben mich setzt und mich auf meine schönen Augen anspricht. In anderen Situationen wäre ich jetzt wahrscheinlich geflüchtet, aber heute bin ich für alles offen. So bleibe ich also sitzen und beginne ein Gespräch mit ihm. Der Mann heißt Sergio und erzählt mir, dass er gerne die Menschen zum Lachen bringt. Während ich mit ihm spreche und lache, merke ich, wie uns die Leute erstaunt und amüsiert beobachten. Es scheint nicht oft vorzukommen, dass eine Ausländerin sich so lange mit einem Mann von der Straße unterhält, vor allem auf eine so freundschaftliche Art. Das Pärchen neben mir fängt an zu grinsen und einige Jugendliche machen mit ihren Handys Fotos von uns. Schließlich nähert sich ein Mann, der mir dazu gratuliert, eine so nette Person zu sein und mich mit Sergio zu unterhalten, welcher sehr glücklich zu sein scheint. Nun fragen sie mich, woher ich komme, wie lange ich schon in Chile bin und was ich hier mache. Derweil verstaut Sergio seine Sachen, um unter der Bank zu schlafen. "Ich bin sehr ordentlich", sagt er mit einem Lächeln. Danach gibt er uns eine Darbietung seiner Tango- und Cumbia-Kenntnisse und fragt uns, ob wir ihn den nie im Fernsehen tanzen gesehen hätten.

Wir sitzen nun schon eine Weile zusammen und er lädt mich ein, eine Runde Dame mit ihm zu spielen. Ich nehme die Einladung an und wir gehen zum Pavillon hinüber, wo wir die Spielfiguren bekommen. Es scheint so, als hätte Sergio schon öfter gespielt als ich, denn er gewinnt schon nach kurzer Zeit. Von der Menge, die uns umgibt, fordert mich nun ein Herr zu einer Runde Schach heraus. Als wir anfangen zu spielen bin ich froh, das Spiel vor vielen Jahren mit meinem Bruder gelernt und zumindest ein paar Male gewonnen zu haben. Jetzt gewinne ich auch bei diesem Spiel nicht, aber das ist egal. Wichtig ist, dass wir Spaß dabei haben. Der Herr bedankt sich bei mir für das Spiel und ich verabschiede mich, um eine Runde über den Platz zu drehen.

Ich komme an den Personen vorbei, die Gemälde und Karikaturen anbieten, und gehe weiter, bis ich gegenüber der Kathedrale stehe, wo sich eine Gruppe von Leuten um zwei Komiker versammelt hat. An diesem Ort des Plaza gibt es immer irgendeine Show und viele Leute bleiben stehen, um zuzusehen oder zuzuhören. Ich gehe weiter und sehe die Stoffpferde, auf die sich die Kinder setzen können, um ein Foto als Andenken zu machen. Ich setze mich in der Nähe hin, um zu beobachten, was noch alles hier passiert. Plötzlich erscheint ein Mann, der mit lauter Stimme zu predigen anfängt. Viele Leute hören ihm aufmerksam zu, während er die Bibel zitiert. Einige von ihnen bleiben sogar am Ende noch länger stehen, um mit ihm zu beten. Ich habe keine Lust zu beten und schaue nach unten. Da bekomme ich eine neue Idee. Schon lange hatte ich vor, meine Schuhe zu putzen. Wieso nutze ich also nicht den Service, den einige Männer hier auf dem Plaza anbieten?

So lerne ich Manuel kennen, der mir eine Zeitschrift zum Lesen reicht, während er meine Schuhe putzt. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt mir, dass er gerne reisen würde, wenn er mehr Geld hätte. Er kennt bereits einige Teile von Chile und Argentinien, wo er Familie hat. Des Weiteren sagt er mir, dass er den Frühling liebt, da die Leute dann freundlicher sind und das Leben mehr genießen. Oh ja, das verstehe ich! Als wir uns verabschieden, habe ich zwar immer noch schwarze Flecken auf meinen Schuhen, aber ich habe einen neuen Freund gefunden. Ich konnte nun fast den ganzen Plaza umrundet. Ich setze mich nochmals hin, beobachte, höre und nehme die Atmosphäre des Platzes auf. Als ich weiter gehe, komme ich an dem Denkmal von Pedro de Valdivia, einem chilenischen Eroberer, vorbei und kehre zu dem Ort zurück, wo ich Sergio verlassen hatte.

Er freut sich, mich zu sehen und zeigt mir eine neue Brille, die er geschenkt bekommen hat. Wir reden noch eine Weile, laufen um den Platz und lassen uns von den Leuten komisch anschauen. Dann verabschieden wir uns wie Freunde. Ich muss ihm versprechen, dass ich ihn grüße, wenn ich das nächste Mal den Platz überquere. Damit endet dieser Tag und diese Erfahrung, welche in der Tat sehr schön und interessant für mich war. Ich habe eine neue Seite Chiles kennengelernt, eine authentische Seite, nicht aus den Augen eines Touristen, sondern mit allen Sinnen und offen für alles, was mich umgibt. Ich habe den Plaza de Armas erlebt.