Durch mein Praktikum lerne ich beide Seiten Perus kennen, die Seite der armen Familien in den Pueblos Jovenes - aber auch die Seite der Reichen mit den schönen Restaurants, den luxuriösen Hotels und den großen Einkaufszentren. Zu dieser Oberschicht gehört auch Nancy. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann Jesus in einem großen Haus im Zentrum von Arequipa. Ich lernte die beiden kennen, als ich in der ersten Zeit meines Praktikums bei ihnen wohnte. Für meinen Artikel bat ich Nancy um Hilfe und sie lud mich herzlich zu sich ein.
Von Außen ist ihr Haus eher unscheinbar, eine Wand aus weißem Sillargestein mit einer schweren braunen Holztür. Erst als ich hineingehe, erkenne ich die Größe des Hauses. Von einem schönen Innenhof mit Bänken und Blumen gehen mehrere Zimmer ab. Ich folge einem langen, verwinkelten Flur von dem ich direkt in die Küche mit Speiseraum und auf die Dachterrasse komme.
Nancy bittet mich im Arbeitszimmer Platz zu nehmen. Ich frage sie, ob sie schon immer hier leben würde und sie erzählt mir, dass sie bis zu ihrem 5. Lebensjahr mit ihren Eltern in einem anderen Haus, auch im Zentrum Arequipas, lebte. Das Haus ihrer Eltern war, wie auch ihres jetzt, sehr groß mit einem Innenhof, einer Küche, mehreren Bädern und 10 großen Zimmern. Sie hatten damals 2 Angestellte, eine Köchin und eine Putzfrau. Heute hat Nancy nur eine Angestellte, die für sie die Hausarbeit übernimmt. Sie kommt aus dem Hochland und verdient ca. 300 Soles im Monat, weniger als 80 Euro.
Nancy musste nie wirklich arbeiten. Sie ging bis sie 17 Jahre alt war auf eine private Schule, welche ihre Eltern bezahlten. Ihr Vater war Geschäftsmann. Ihm gehörte eine Boutique und er hatte zwei große Häuser in Mollendo, einem Badeort am Pazifik. Nancy ist Hausfrau, wie ihre Mutter damals. Als Kind musste sie nicht viel im Haushalt helfen, das übernahmen ja die Hausmädchen. Ihre Geschwister verließen früh das Haus, so dass Ihre Eltern viel Zeit hatten sich um sie zu kümmern. Sie halfen ihr bei den Hausaufgaben, lasen ihr vor, sangen und verreisten zusammen. So lernte Nancy auch Europa kennen, wo jetzt drei von ihren insgesamt vier Kindern leben. Manchmal besucht Nancy sie in Europa oder sie kommen zu Weihnachten nach Arequipa. Alle Kinder hatten die Möglichkeit auf eine private Schule zu gehen, welche Nancy und ihrem Mann Jesus jeweils zwischen 400 und 500 Soles (ca. 100-125 Euro) im Monat kostete.
Nun setzte sich auch Jesus mit an den Tisch. Jesus ist ein sehr aktiver, vielfältig interessierter älterer Herr. Er war früher einmal Englischlehrer und schrieb selber Bücher, die er mir stolz zeigt. Nancy half ihm beim Verkaufen der Bücher. Insgesamt verkauften sie 20.000 von ihnen, so viele wie es Taxen in Arequipa gibt;-)
Die beiden erzählen mir, dass sie sich auf der Hochzeit einer Freundin kennen lernten. Zwei Jahre später heirateten sie. Im Gegensatz zu Jesus, welcher immer auf Achse ist, beschäftigt sich Nancy lieber mit Kreuzworträtseln, trifft sich mit Freundinnen, geht ins Kino oder ins Restaurant. An Samstagen spielt sie Karten. Das klingt für mich alles nach einem sehr ruhigen und entspannten Leben. Gibt es denn etwas, was sie sich für die Zukunft wünscht? - möchte ich wissen. "Mmmmh, mal sehen.. ja! Gesundheit, dass ich meine Kinder weiterhin besuchen kann, nach Europa reisen...ja, das ist alles." Bekomme ich als Antwort. Ändern würde Nancy nichts an ihrem Leben. Eine Sache interessiert mich jedoch noch, bevor ich mich wieder auf den Weg mache. Ich frage sie, was sie über die Frauen in ihrem Land denkt und ob sie glaubt, dass es gleiche Rechte für alle gibt, egal ob reich oder arm? Sie lächelt und erzählt, dass sie Peru für ein Macho-Land hält. In den gehobeneren Schichten würden die Frauen sich zwar langsam immer mehr Rechte erkämpfen, in den ärmeren gäbe es jedoch noch viel familiäre Gewalt. Ihren Kindern jedenfalls habe sie gute moralische Werte beigebracht und ihre Töchter dürfen alles frei für sich entscheiden. Sie glaubt, dass das bei der armen Bevölkerung noch nicht so sei. Dort hätten die Frauen nichts zu sagen. Ist das so?
Ein paar Tage danach fahr ich nach Villa Cerillos, einem armen Viertel von Arequipa an den Hängen des Vulkans Chachani. In diesem Gebiet leben ca. 400 Familien. Hier gibt es erst seit zwei Jahren halboffiziell Strom, kein fließendes Wasser, keine medizinische Versorgung. Die Gegend ist trocken und staubig und die Häuser sind meist sehr einfach, aus Sillargestein mit einem Dach aus Wellblech.
In so einem Haus lebt auch Grimaldina mit ihren 2 Kindern und ihrem Mann. Grimaldina arbeitet zurzeit in der dort einzigen Schule San Juan Apostol als Hilfslehrerin. Ich habe ein bisschen Bedenken, dass sie mir, einer Fremden und dazu auch noch einer Ausländerin, nicht alle Fragen beantworten wird. Doch Grimaldina begrüßt mich herzlich, setzt sich neben mich auf die Bank und sagt nur: "Dime!", "Schieß los!" Sie erzählt mir, dass sie in Huanca - einem Ort in der Provinz Caylloma im Colca-Gebiet - aufgewachsen ist. Ihre Eltern waren Landwirte, die täglich auf dem Feld arbeiteten. Da es keine Maschinen gab, wurde alles mit der Hand oder mit Hilfe von Tieren gemacht. Grimaldina und ihre vier Geschwister mussten nach der Schule immer noch mit auf´s Feld, um ihre Eltern zu unterstützen. Nur abends hatten sie etwas gemeinsame Zeit, um sich zu unterhalten und Aufgaben für den nächsten Tag zu verteilen.
Grimaldina schlief damals mit all ihren Geschwistern in einem Zimmer, denn es gab nicht genug Platz für ein eigenes. Auch heute noch hat sie in ihrem Haus nur 2 Räume, eine Küche und ein Schlafzimmer. Wasser holt sie aus Tanks und als Tiolette dient ein Plumsklo. Grimaldina wirkt trotz ihrer kleinen Größe und ihrer etwas schüchternen Körperhaltung sehr zielstrebig. Sie zog damals mit 12 Jahren bei ihren Eltern aus und folgte ihren Geschwistern nach Arequipa. Hier wollte sie zur Schule gehen, da es in ihrer Heimat keine weiterführende Schule gab. Sie beendete die Schule und fing sogar ein Pädagogik-Studium an. Doch sie musste sich mit Nebenjobs über Wasser halten. Als sie ihren ersten Mann kennen lernte und mit 21 schwanger wurde, unterbrach sie ihr Studium, nahm es aber später wieder auf. Ihr Mann verließ sie, als sie das Kind bekam, weil er zu viel Angst vor der Verantwortung hatte.
Ihren jetzigen Mann traf sie das erste Mal, als sie auf einem Feld arbeitete, um Geld für sich und ihre Tochter zu verdienen. Er ist Feldarbeiter und die beiden verliebten sich ineinander. Vor ein paar Monaten kam ihre zweite Tochter zur Welt. Mich interessiert was Gremaldina tut, wenn sie einmal nicht arbeitet. "Freizeit? Hab ich nicht viel!" , sagt sie mir. "Ich nutze die Zeit am Wochenende für die Hausarbeit: putzen, waschen, kochen, alles was ich in der Woche nicht schaffe." Da Gremaldina sich kein Obst oder Gemüse leisten kann, gibt es meistens Getreide oder Brot zum Essen. Wenn morgens die Milch knapp ist, bekommen die Kinder auch schon mal Kaffee. Ich scheine sehr verduzt zu gucken, denn sie hängt schnell hinterher „stark verdünnten Kaffee natürlich."
Nach all dem, was sie mir über ihr Leben erzählt hat, denke ich, dass sie bestimmt einiges ändern würde wenn sie könnte. Doch sie sagt nur: „Ich hätte gerne ein besseres Haus, sauberer, mit fließendem Wasser." Gremaldina glaubt nicht, dass Reichtum glücklich macht. Sie hätte zwar gerne ein größeres Haus, würde aber trotzdem weiter als Erzieherin arbeiten wollen, sonst wäre ihr langweilig.
Auch sie frage ich, was sie über die Rechte der Frauen in ihrem Land denkt und auch sie antwortet, dass es leider noch sehr viele Machos gäbe. Die Männer täten, was sie wollten, sie hätten den stärkeren Charakter und schlagen ihre Frauen und Kinder oft. „Glaubst du die Frauen aus der Unterschicht werden anders behandelt, als Frauen aus der Oberschicht?", will ich noch wissen. Sie nennt mir ein Beispiel: „Ja. Wenn ich mit meinen Kindern zum Arzt gehe und sie wirklich krank sind, muss ich stundenlang warten. Erst kommen die Reichen dran, die mit der gepflegten Kleidung und der helleren Haut. Wir scheinen nicht so wichtig zu sein wie die!"
Ein wenig nachdenklich verabschiede ich mich von Gremaldina und frage mich: "Wie kann sich ein Land entwickeln, wenn sich die Bevölkerung nicht füreinander interessiert?"