Venezuela: Schönheitsoperation mit fünfzehn

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Schon seit 5 Metrostationen starrt mich dieses Werbeplakat an und irritiert mich: Brustvergrößerung für unter 1000 Dollar! Fettabsaugung, günstig wie nie zuvor! Was auf den ersten Blick wie Werbung für ein Fitnessstudio oder eines dieser vielen unfehlbaren Diätprogramme aussieht, zeigt auf den zweiten Blick, wie verstörend selbstverständlich die Manipulation am menschlichen Körper in Venezuela ist. Ganz unverblümt wird im Geschäft mit der Schönheit zu kommerziellen chirurgischen Eingriffen aufgerufen. Was andernorts meist nur unter strenger ärztlicher Beaufsichtigung zu haben ist, wurde hierzulande längst in spezialisierte Massendienstleistungsunternehmen outgesourct.

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Diese Werbung ist kein Einzelfall. In Caracas begegnet mir das Thema "Schönheitsoperationen" häufiger. Natürlich haben die Venezolanerinnen den Ruf sehr schön zu sein. Nicht umsonst hat bisher kein anderes Land so viele Schönheitswettbewerbe gewonnen wie Venezuela. Aber hier ist nicht alles Gold was glänzt! Denn volle Lippen sind bei weitem nicht immer Ausdruck "natürlicher" Schönheit.

Wenn ich aus dem Büro gehe, treffe ich bereits an der ersten Ecke auf einen der zahlreichen Beauty Salons, der die neuesten Plastikfingernägel anbietet und in dem sich Frau verwöhnen lassen kann. Einmal hatte ich mich im größten Einkaufszentrum von Caracas, dem Sambil, verirrt und bin in einer Etage voll mit Friseursalons und Beautysalons gelandet. Da staunt man(n) nicht schlecht, was es heute für Möglichkeiten gibt! Um diese Erfahrung reicher, war die Überraschung auch nicht mehr so groß, als mir bewusst wurde, welche Bedeutung "schön sein" in Venezuela besitzt und welche Mühen und Kosten dafür in Kauf genommen werden.

Als ich eines abends mit drei Freundinnen unterwegs bin, erlaube ich mir, das Thema "Schönheitsoperationen" anzusprechen. Ich konnte ja nicht ahnen, welchen Stein ich damit ins Rollen brachte. Erst einmal brechen die drei in schallendes Gelächter aus und meinen nur, das seien doch alles "tontas" (Dummerchen), die so was machen lassen. Aber jetzt mal im Ernst, warum ist gerade hier der Gang zum Schönheitschirurgen so weit verbreitet und anerkannt? Francis ergreift als erste das Wort: "Schau, Schönheit bedeutet für viele Venezolaner nicht nur einfach gut aussehen!" Ja was denn dann?! "Schönheit öffnet dir hier Türen, macht vieles einfach viel einfacher!" ergänzt sie.

Sandra, die am Strand Sonnencreme verwendet, um nicht dunkler zu werden, da das hier nicht dem Schönheitsideal entspricht, versucht mir das anhand eines Beispiels klar zumachen: "Kennst du Irene Saez, die Miss Universum von 1981? Die hat danach Karriere gemacht und ist später die Bürgermeisterin von Chacao - einem Nobelstadtteil von Caracas - geworden! Siehst du, das hätte sie sonst wohl nicht geschafft!"

Ich verstehe, Schönheit also als Investition in die Karriere. Sandra meint: "Auf jeden Fall hast du es bei Bewerbungsgesprächen schon mal um einiges einfacher!"

Also bis hier hin verstehe ich das ja alles noch. Der Schönheitswahn treibt ja global sein Unwesen und wird im gegenseitigen Interesse von Medien und Konsumgüterherstellern mehr und mehr idealisiert!

Doch das mit dem Operieren hab' ich noch nicht verstanden. Ich schmeichele den eitlen Venezolanerinnen, dass sie doch hübsch seien und es gar nicht nötig haben irgendetwas an sich ändern zu lassen. Eine Wand aus Zahnpastawerbungslächeln strahlt mir entgegen. Natürlich haben die drei Mädels mich sofort durchschaut, annehmen tun sie das Kompliment trotzdem gerne.

Francis meint: "Hast du mal die ganze Werbung gesehen? Oder die Sendungen im Fernsehen? Kommen dir die Menschen da typisch venezolanisch vor?" Da hat sie Recht! Die meisten Produkte werden von großen, blonden oder hellhäutigen Menschen angepriesen. Nicht gerade der gängige Typ in Venezuela! Wenn ich mich in der Kneipe umschaue, sehe ich eher ein buntes Gemisch aus Mestizen (Menschen mit europäischen und indianischen Vorfahren) und Schwarzen. Ein paar Weiße huschen auch mal durchs Bild. Doch blond?

"Hier existiert ein Schönheitsideal, das mit der Realität in den Städten und auf dem Land nichts zu tun hat! Wer es sich leisten kann, will sich aus der Masse abheben!" sagt Francis: "Darum laufen sie auch mit Luftballons an der Brust und aufgeblasenen Lippen rum!", ergänzt sie in typisch direkter venezolanischer Art.

Jetzt meldet sich auch Tatjana zu Wort, die sich bisher zurückgehalten hat: "Und die Ärmeren haben das erkannt. Auch sie wollen zeigen, dass ihnen ihr Äußeres wichtig ist. Wollen zeigen, dass sie dazugehören. Für viele der unteren Schichten ist das auch eine Gelegenheit der Armut zu entkommen!" Wollen sie sich denn reich einheiraten? "Das ist eine Möglichkeit, aber die meisten versuchen natürlich an den Schönheitswettbewerben teilzunehmen. Wenn sie bei denen keinen Erfolg haben, können sie ja noch Model werden. Oder eben einen reichen Ehemann suchen."

Ja das stimmt, denke ich mir. Oft bemerke ich wie wichtig es den Südamerikanern ist, zu demonstrieren, dass sie nicht ärmeren Bevölkerungsschichten angehören sondern die Flucht aus der Armut geschafft haben. Aber Flucht durch Schönheit?

Ohne professionelle Unterstützung bleiben die entscheidenden Türen aber verschlossen. Erste Adresse für den vermeintlichen Weg aus der Armut ist die Modelschule "Giselle" im Osten der Hauptstadt Caracas. Solche Modelschulen sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Wer dort als Kandidatin für "Miss Venezuela" aufgestellt wird, hat beste Chancen den Titel zu gewinnen. Und darum bemühen sich die Mädchen mit allen Kräften.

Wer sich die monatliche Gebühr von 100 Dollar bei "Giselle" nicht leisten kann, hungert sich selbst auf das nötige Gewicht runter und übt vor dem eigenen Spiegel zu Hause. Die die es sich leisten können, schicken jedoch schon die Kleinsten in diese Modelaufzuchtakademien. Die jüngste Schülerin hat ihre Karriere dort bereits mit drei Jahren begonnen.

Aber allein der Besuch dort garantiert noch keinen Erfolg. Für die kleinen Brustvergrößerung, Fett absaugen, Nasenknorpel kleiner meißeln, Gesäß-Transplantate oder Fettspritzen in die Waden muss noch einmal tiefer ins Portmonee gegriffen werden. Diesen Preis bezahlen bereits schon fünfzehnjährige Mädchen, die auf Nummer sicher gehen wollen.

"Du verstehst es nicht?!" Reißt mich Francis aus meinen Gedanken. "Du bekommst hier sogar einfacher einen Kredit für eine Brust-OP als ein Darlehen für das Studium!" "Ufff, wirklich?" stammele ich gerade noch so raus. "Ja! Die Kreditgeber wissen, wie wichtig das Aussehen hier ist, was du damit erreichen kannst. Das ist wie deine Visitenkarte! Die soll ja auch was hermachen!" wirft sie hinterher.

Dieses Gespräch ist mir danach immer im Gedächtnis geblieben. Viele Dinge sehe ich aus einer anderen Perspektive. Wie wichtig es den Menschen ist, gut gekleidet zu sein. Laufe ich einmal mit Flip Flops durch die Mittagshitze, merke ich, wie sich geringschätzige Blicke auf meine nackten Füße richten. Im Shoppingcenter bemerke ich, wie "herausgeputzt" die Mädchen sind. Es grenzt schon mehr an ein Schaulaufen als an ein einfaches Shoppen gehen. Die falschen Oberweiten sind mir ja bereits vorher schon wortwörtlich ins Auge gefallen.

Aber wer weiß, was Schönheit hier bedeutet, kann verstehen, dass so viele dafür leiden. Denn abgerissen und ungepflegt herumlaufen, können sich nur die wenigsten leisten: reinster Luxus, vielleicht sogar dumm. Diese Gedanken versöhnen mich, wenn auch nur ein wenig, mit dem Plakat vor meiner Nase. Trotzdem wende ich mich ab, denn verstanden hab' ich den Schönheitswahn vielleicht, annehmen kann ich ihn nicht.

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