Wie werden Sie persönlich gern betitelt? Ist es Ihnen lieber mit dem förmlichen "Sie" als mit einem freundschaftlichen "Du" angesprochen zu werden? Ganz sicher ist dies eine Frage, die je nach Situation beantwortet wird. Wie würden Sie sich jedoch fühlen, wenn Sie mit "Euer Gnaden" oder gar "Euer Gnädelein" angesprochen werden würden? Unvorstellbar? Dann lade ich Sie in das Gebiet zwischen Bogota und dem ca. 200km nördlich gelegenem Dörfchen Villa de Leyva ein!
In dieser Region leben die Menschen vor allem von der Landwirtschaft und pflegen ihre Traditionen. Zu ihnen gehört der sehr förmliche und respektvolle Umgang miteinander. Daher wird bei der Anrede nicht das "Usted" (Deutsch: Sie) oder das gar noch das saloppe "Tu" (Deutsch: Du) gebraucht, sondern das "Sumerced" (Deutsch: Eurer Gnaden) aus alten Kolonialzeiten. Besteht schon etwas mehr Vertrauen zwischen zwei Menschen, ist auch ein fast intimes "Sumercesito" (Deutsch: Eurer Gnädelein) erlaubt. Dies benutzen beispielsweise Verliebte unter sich, aber auch auf den Wochenmärkten ist diese zarte Form der Demut zu hören, wenn eine Marktschreierin ihrem Kunden das ultimative Kaufargument liefert. Es ist ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl. Denn der Kunde weiß anschließend, dass die Grenze des Handelns erreicht wurde und dies das letzte Angebot ist.
"Sumerceeeed!" ertönt es z.B. voller Begeisterung aus bierseligen Kehlen, wenn beim Tejo-Spiel, typisch für diese Gegend, ins Schwarze getroffen wird. Oder besser gesagt aufs Blättchen. In dem befindet sich nämlich Pulver und ein lauter Knall macht deutlich, dass dies ein Meisterwurf war und ähnlich wie beim Kegeln, der Werfer alle Neune getroffen hat. Wobei hier ein flacher Stein über 50m geworfen und keine Kugel gerollt wird. Das Ziel sind auch keine 9 Kegel sondern ein beschriebenes pulverhaltiges Blättchen. Aber die Freude über den guten Wurf dürfte gleich sein, bedeutet dies doch gleich drei Dinge: 9 Punkte für den Werfer und seine Mannschaft, die Götter sind mir gesonnen und auch nicht zu verachten, eine neue Runde Bier für alle!
Das mit den Göttern kommt daher, weil dieser Sport einst auch als Gottesurteil in Streitfragen galt, wenn auf anderem Wege keine Lösung zu erreichen war. Es ist nicht überliefert, ob die Götter bei solchen Gerichten bei jedem Treffer auch in vollen Zügen aus dem "Chicha"-Faß schöpften, aber wenn, dann haben sie dem Schützen sicherlich mit einem wohlwollenden "Sumercesito" zugeprostet. Oder was meinen Sie?
Kennen Sie weitere kuriose Arten der Anrede? Wissen Sie die Hintergründe dafür? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar!