Ecuadors Mitte der Gesellschaft

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In den meisten Nachrichten, Zeitungsberichten oder Fernsehdokumentation über Ecuador wird hauptsächlich von Armut, Überfällen, der sozialen Ungerechtigkeit und der riesigen klaffenden Schere zwischen Arm und Reich berichtet.

Ich lebe mittlerweile seit vier Monaten in Ecuador und sehe den Unterschied Arm - Reich jeden Tag. Am deutlichsten wird er in der Mariscal, dem Bar- und Ausgehviertel von Quito mit hohem touristischen Zulauf. Hier fahren 18-Jährige in riesigen Gelände- oder Sportwagen flanieren und drehen ihre Runden während nebenan kleine Kinder nachts um 2 Uhr Zigaretten verkaufen. Obwohl staatliche Schulen keine Gebühr verlangen, müssen die Kosten für Schuluniformen, Unterrichtsmaterialien und Bücher von den Familien selbst getragen werden. Viele Familien in den ländlichen Regionen und im Süden von Quito können sich diese Aufwendungen jedoch kaum leisten. Daher gehen die Kinder häufig nur zwei bis drei Jahre in die Schule, um danach die Familie bei der Ernährung zu unterstützen. Sie verdienen sich Geld im sogenannten "informellen Sektor", als Schuhputzer, fliegende Händler, Ein- und Ausparkhilfe. Es ist erschreckend zu sehen, wie früh am morgen völlig verdreckte Kinder zwischen den Autos herumlaufen und Süßigkeiten verkaufen. Laut einer Erhebung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2008 muss jedes achte Kind in Ecuador zwischen 5 und 14 Jahren arbeiten, insgesamt leben etwa 45 Prozent der 13 Millionen Ecuadorianer in Armut. Die Einführung des Dollars als Landeswährung im April 2000 führte zu einer Verarmung der unteren Mittelschicht und so zu einem weiteren Anwachsen der Armut insgesamt und einer größeren Ungleichheit in der Verteilung des Einkommens.

Viele Hoffnungen der Unterschicht ruhen daher auf der - am 28. September diesen Jahres mit großer Mehrheit durch einen Volksentscheid befürworteten - neuen Verfassung. Die 444 Verfassungsartikel stellen unter anderem soziale Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt, ein Verbot von Kinderarbeit und Umweltschutz, sowie eine kostenlose Schulbildung und flächendeckende Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt der Politik von Präsident Rafael Correa.

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Die meisten Stimmen für „nein“ kamen aus Teilen der oberen Mittel- und der Oberschicht. Auf meinem Weg zur Arbeit von Quito nach Cumbaya komme ich an einer Wohnsiedlung vorbei, die streng abgeschirmt ist und die wir selbst für europäische Verhältnisse als reich bezeichnen würden. Die Sorgen hier liegen dementsprechend darin, dass sie durch die neue Verfassung alles verlieren können. Sie werden aber auch unter Präsident Correa und der neuen Verfassung weiterhin keine Steuern zahlen müssen und werden von ihren Lebensstandard nichts einbüßen.

Ich frage mich immer öfter wo die Mitte zwischen diesen zwei Welten liegt und warum der fast völlig vergessenen und selten erwähnten ecuadorianischen Mittelschicht eine so verhältnismäßig kleiner Anteil der Bevölkerung angehört?

Hugo, ein junger Ecuadorianer indianischer Abstammung, Musiker und guter Freund erzählte mir vor einigen
Wochen beiläufig, dass er und seine Familie möglicherweise nach Costa Rica auswandern müssen, da die Familie der Mittelschicht angehört und unter der neuen Verfassung stark zu leiden hat. In der Verfassung ist ebenfalls eine Art Solidaritätsbeitrag für die Unterschicht festgeschrieben. Die Oberschicht trifft das weniger, da sie sich keine großen Sorgen um solche Ausgaben machen muss und weiterhin ihren Fuhrpark in der Garage stehen hat. Die Mittelschicht trifft dies jedoch, da sie von dem, was sie hat einen erheblichen Teil abgeben muss. Da es weder eine Rente oder eine soziale Sicherheit gibt passiert es vielen Familien, dass auch sie in die Unterschicht abrutschen. Die Familie von Hugo hat dabei noch Glück, da sein Großvater Luis lange Jahre Universitätsprofessor in Quito und Aktivist für die Rechte der Indianer in und um Santo Domingo de los Tsaschilas war und auch heute noch ist. Seine Arbeit besteht darin, Gemeinderäten beizuwohnen und zu protokollieren, Wasserproben auszuwerten sowie Berichte über die aktuelle Lage der Gemeinden zu schreiben.

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Wie sich am Beispiel von Luis zeigt, sind Professoren und Manager erfolgreich in ihrem Beruf, engagieren
sich darüber hinaus für die Rechte der Indigenas, der Armen und Unterprivilegierten, kommen selber aber nie über den Stand der Mittelschicht hinaus und leben im Alter mit der Gefahr, in die Unterschicht abzurutschen, wenn sie nicht auf den Rückhalt der Familie zählen können oder einfach weniger Glück haben.


Eine wirkliche Veränderung der sozialen Situation in Ecuador kann, wie viele selber sagen, nur aus der Mittelschicht kommen, denn sie haben ein Berufs- und Bildungsstand erreicht, den Blick für Ungerechtigkeit bekommen, das sie etwas bewegen könnten.

 

Ich konnte während meiner Zeit hier einige Ecuadorianer aus der Mittelschicht kennen lernen und habe dabei den Eindruck bekommen, dass sie sich ihrem Lande wirklich verpflichtet fühlen, einen Fortschritt, nicht nur für sich selbst, sondern für ihr Land erzielen wollen. Viele wollen und können ihre Kinder auf eine Universität schicken oder mit Glück sogar ins Ausland, was dementsprechend zu einer offenen Weltsicht beiträgt. Sie leben nicht abgeschirmt, eingemauert in einem kleinen sozialen Mikrokosmos mit Idealen die von den Eltern und ihrer Umgebung vorgelebt werden sondern häufig in Nachbarschaft zur armen Bevölkerung. Sie kennen durch Freundschaften und Kontakte das Leben am unteren Ende der Gesellschaft.

 

Das Problem, dass die Mittelschicht in Ecuador hat um maßgeblich etwas zu verändern und zur Entwicklung des Landes beizutragen, ist der Mangel an Fremdsprachenkenntnissen um Geschäfte mit dem Ausland abwickeln zu können, eine kaum existierende Produktionslandschaft sowie die Abhängigkeit und Einflussnahme durch Drittstaaten auf die Industrie Ecuadors.

 

Es war sehr spannend zu beobachten wie Hugo, Juan , Alex und weitere Freunde aus Santo Domingo, als ich das Thema einbrachte, nach kurzer Zeit heftig untereinander ihre Ansichten diskutierten. Sie sehen den Teufelskreis in dem sich das Land befindet und stimmten alle damit überein, dass ein Hauptproblem bei den Menschen selber liegt:


Eine fehlende Rücksichtnahme und das Abgeben der sozialen Verantwortung an andere.

 

 

Fast alle von ihnen sind für die neue Verfassung, haben mit si gestimmt. Sie finden gut dass dem Grossteil der Bevölkerung geholfen werden soll und das unter anderem allgemeine Menschenrechte festgeschrieben sind, prangern jedoch gleichzeitig an, dass sich die Würden- und Uniformträger des Landes nicht daran halten. Sie erzählen von Polizeiwillkür und den 7 gescheiterten Präsidenten der letzten 12 Jahre, von prügelnden Soldaten, die Demonstrationen von Indios gewaltsam auflösen um Erdölförderanlagen
zu schützen, die gleichzeitig hinter ihrem Rücken das Land verseuchen.

 

Wenige setzten sich für die Rechte anderer ein, wenige schauen über den Tellerrand und leben nach dem Motto Auge um Auge...Stehlen und die eigenen Kinder arbeiten schicken oder an Hunger sterben, Geld verdienen im Sinne des Kapitalismus aus dem Norden. Die Gesellschaft gibt mir nichts, also hat sie auch nichts zu erwarten. Das sind Hauptaussagen der Gespräche der letzten Wochen.

 

Und wenn es alte Professoren und Aktivisten wie Luis nicht mehr gibt? Den Grossteil seines Lebens hat er der soziale Gerechtigkeit gewidmet und für Aufmerksamkeit und Anerkennung der indianischen Kultur gerungen. Sein Wunsch ist es, dass es eine breite Masse an Menschen gibt, die genau das wollen. "Doch woher soll diese breite Masse kommen?" fragt er. Den Armen des Landes muss selber geholfen werden und die Reichen verschanzen sich in ihren Wohnsiedlungen aus Angst vor Überfällen eben dieser armen Bevölkerung. Nur die verschwindend kleine Mittelschicht ist in der Lage dazu, wenn man ihr denn die Chance lässt. An den Emotionen während der Gespräche und Diskussionen war zu merken, dass sich die jungen Leute dieser Verantwortung bewusst und bereit sind, ihren Teil für eine Verbesserung beizutragen. Denn sie haben die Möglichkeit mehr als drei Jahre zu Schule zu gehen, zu studieren und sie wissen ganz genau, dass sie diejenigen sind die etwas Verändern können, dafür aber selber verantwortlich sind.

 

Ein Taxifahrer erzählte mir einmal, er hätte studiert, wenig Glück im Leben gahabt und sei bisher sechs verschiedenen Arbeiten nachgegangen die mit seinem Studium nichts zu tun hätten. "Alles ist besser als zu stehlen, selbst nachts in Quito Taxifahrer zu sein, am Strassenrand zu jonglieren oder Obst zu verkaufen! Alles besser als andere Leute zu überfallen, die selber nichts haben."

 

Doch nach wie vor ist es leichter Leute zu überfallen als jeden morgen zur Arbeit zu gehen, oder nachts Taxi zu fahren. Und nur weil man im Leben etwas Glück, eine gute Arbeit und Geld hat um sich Sicherheit und viele Autos zu kaufen heisst das nicht, für die sozialen Umstände im eigenen Land nicht mehr verantwortlich zu sein.

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