Dies ist die Geschichte von Carlos Paskvan, einem 31-jährigen Peruaner, der alles daran gesetzt hat, zur WM in Russland zu gelangen. Seit 36 Jahren hat sich sein Land für keine Weltmeisterschaft mehr qualifiziert. Zuletzt spielte Peru 1982 in Spanien bei der WM mit und schied in der ersten Runde aus. Nun, 2018, ist Peru wieder dabei - und das ganze Land rastet aus!
Es ist ein Moment, auf den ganze Generationen hingefiebert haben. Als das erste Tor für Peru im Entscheidungsspiel gegen Neuseeland fiel, lösten die Stadionbesucher in Lima eine Erdbebenwarnung mit ihrem Jubel aus. Nach dem Spiel (Endstand 2:0) stand fest: Peru ist in Russland dabei!
Nun vergeben Banken spezielle Kredite für Peruaner, die zur WM reisen wollen. Auf den Straßen sieht man Pappkartons hinter Autoscheiben "Zu verkaufen - ich will nach Russland", aus allen Fenstern hängen rot-weiße Flaggen. Carlos Paskvan hat es geschafft. Seit Donnerstag, dem 14.Juni, ist er in Russland. Morgen wird er im Stadion die Blanquirroja, die Weißrote, wie die Seleccion peruana auch genannt wird, anfeuern. Ich habe Carlos auf seiner verrückten Reise getroffen und ein paar Stunden mit ihm in Berlin verbracht.
In welchem Alter hast du dich zu einem so großen Fußballfan der Nationalmannschaft entwickelt?
Carlos: Früher habe ich selbst oft Fußball gespielt, in der Schule und später in der Unimannschaft, nun spiele ich noch gelegentlich mit Freunden. Richtiger Fan wurde ich schon im Jahr 1997, da war ich gerade 11 Jahre alt. Peru war so nah dran, sich für die WM 1998 in Frankreich zu qualifizieren, und verlor dann im Entscheidungsspiel gegen Chile. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Zum ersten Mal im Leben hat mich Fußball wirklich berührt.
Dann freust du dich also umso mehr, dass Chile dieses Jahr nicht bei der WM in Russland dabei ist!
Carlos: Aber Hallo! Chile und Peru sind Erzfeinde im Fußball. Selbst als noch nicht klar war, dass Peru an der WM teilnehmen kann, weil das Spiel gegen Neuseeland noch ausstand, war die Stimmung aus reiner Schadenfreude gegen Chile schon ganz gut. Damit, das Peru teilnimmt, Chile aber nicht, hatte niemand gerechnet.
Peru ist ein wahnsinniger Sympathieträger, auch die anderen Teilnehmer aus Südamerika haben sich für Peru gefreut.
Carlos: Klar, wir freuen uns ja umgekehrt auch für sie, zumindest, wenn sie gegen Chile spielen (lacht).
Zwei Argentinier laufen an uns vorbei, sehen die peruanischen Trainingsjacken und Trikots von Carlos und seinem Freund Juan und strecken uns ihr Bier entgegen "Wir sehen uns in Russland!". Ein Paar läuft hinter ihnen, bemerkt die rot-weiße Aufmachung und bekommt sich gar nicht mehr ein vor Freude. Wie sich herausstellt, sind sie ausgewanderte Peruaner, die nun den Augenblick nutzen und Bilder mit Juan, Carlos und deren Flaggen vor dem Brandenburger Tor knipsen, ein weiterer Fan gesellt sich kurz dazu.
"Den haben wir schon im Flugzeug getroffen", verrät Carlos. "Er hat dieselbe verrückte Strecke wie wir!"
Peru-Toronto-Berlin-Belgrad-Moskau. Über vier Tage war Carlos unterwegs, um möglichst günstig nach Russland zu gelangen. Insgesamt um die 2.500€ hat er für seinen Traum ausgegeben. Er schläft in Hostels für unter 8€ und fährt nach jedem Spiel wieder nach Moskau zurück, da die Fahrt im Ticket inbegriffen ist und dort die günstigeren Betten stehen. Außerdem hatte er Glück, bekam in der Verlosung der günstigen Ticketkategorie alle Tickets, auf die er sich bewarb. Es ist seine allererste Reise außerhalb von Südamerika. Und er ist nicht alleine: über 43.500 Karten wurden an peruanische Fans verkauft, womit Peru auf Platz 8 der meisten Fans vor Ort liegt. Einige von ihnen leben in Europa, doch viele reisen wie Carlos extra aus Peru an.
Wann hast du dich entschieden, zur WM zu reisen?
Carlos: Das war kein langfristiger Plan. Nach all der Zeit ohne WM-Beteiligung hatte ja niemand ernsthaft damit rechnen können, dass es diesmal klappt. Gehofft natürlich, aber eine Garantie gab es nicht. Als es dann ernster wurde, kamen überall die Emotionen hoch. Auf einmal begannen meine Freunde davon zu sprechen, nach Russland zu reisen. Wirklich ernst meinten es davon aber nur wenige. Als wir dann gegen Ecuador gewonnen haben, habe ich erst zu Juan (Anmerkung: Unifreund von Carlos, reist mit ihm) und dann zu meiner Chefin gesagt: "Wenn Peru dabei ist, bin ich es auch.".
Wie hat deine Chefin auf deine Ankündigung der Reise zur WM in Russland reagiert?
Carlos: Zuerst einmal hat sie gelacht, und "ja, sicher" gesagt. Nach dem Spiel gegen Neuseeland habe ich dann meinen Urlaub eingereicht. Sie war kurz baff, dann hat sie ohne zu zögern akzeptiert. Die Stimmung ist ausgelassen wie selten. Ich glaube, dieses Gemeinschaftsgefühl ist es, was Fußball für mich ausmacht. Einfach jeder ist glücklich. Als ich klein war, habe ich auch oft Spott gehört dafür, das peruanische Trikot zu tragen - es gab ja nichts, worauf man wirklich stolz sein konnte. Nun trägt ganz Peru Rot-Weiß, die Leute identifizieren sich wieder mehr mit ihrem Land. Wir sind eins.
Eine letzte Frage: Wer ist dein Lieblingsspieler?
Carlos: Ich sehe die Blanquirroja als ein einziges Team, aber wenn ich einen Lieblingsspieler nennen müsste, dann Edison Flores. Er ist vielleicht nicht ganz so wichtig wie Guerrero oder Farfán, die die größten Sympathieträger sind, aber mir gefällt seine ehrliche Spielweise. Das erhoffe ich mir auch für die WM: Ein ehrliches und starkes Team!
Ich verabschiede mich von Carlos, der seinen Flug nach Belgrad erwischen muss, und er verspricht, auf dem Rückflug noch einmal vorbeizuschauen - hoffentlich ebenso gut gelaunt
¡Viva Perú!