Für unsere Kampagne #viventurameets habe ich mich mit Vertretern des Kinderhilfswerks terre des hommes in Bolivien getroffen. In der alten Minenstadt Potosí unterstützt terre des hommes die Kindergewerkschaft NATs. Kinderarbeit unter 14 Jahren ist nach internationalen Menschenrechten verboten. Doch in Bolivien ist sie in der einheimischen Kultur tief verwurzelt und in vielen Fällen überlebenswichtig. Seit 2014 gib es daher einen neuen gesetzlichen Ansatz, einen Kompromiss zwischen internationalem Standard und den Umständen im globalen Süden. Im Gesetzesprozess haben die Kindergewerkschaften aktiv mitgewirkt. terre des hommes hilft ihnen dabei, sich für ihre Kinderrechte in Bolivien stark zu machen.
Kinderrechte in Bolivien - die Minenstadt Potosí
Die Stadt Potosí liegt am Fuße des Berges Cerro Rico, dem "Reichen Berg". In der Kolonialzeit wurde hier Silber gewonnen, das Prunk und Pracht der europäischen Kolonialmächte finanzierte. Gleichzeitig kostete es das Leben Zehntausender indigenen Zwangsarbeiter und afrikanischer Sklaven. Sie arbeiteten in der Mine unter den schlimmsten Bedingungen. Auch heute wird hier in unzähligen Minen noch Silber und Zinn gefördert, doch der Reichtum von damals ist verblasst. Der Cerro Rico gleicht heute einem löchrigen Schweizer Käse. Viele Bergarbeiter sterben an Staublungen und Unfällen durch Explosionen.
Und auch heute arbeiten noch etwa 150 Heranwachsende in der Mine. Dass die harte Minenarbeit für Minderjährige in Bolivien per Gesetz verboten ist, interessiert dabei kaum jemanden. Meist arbeiten sie mit ihren Vätern oder Onkeln als kleine Familienunternehmen auf eigene Rechnung. Das heißt: wer nichts fördert, verdient auch nichts. Reich wird heute kaum noch einer. Trotzdem nehmen die Heranwachsenden das Risiko der brutalen und unmenschlichen Arbeit in Kauf, in der Hoffnung, dass am Ende des Tunnels ein besseres Leben wartet. Die meisten von ihnen werden die Mine jedoch nie verlassen.
Schaut euch in unserer 360° Version des Cerro Rico an, wie es auf dem Minenberg aussieht.
Kinderrechte in Bolivien - Kinder an die Macht
Laut der UN Kinderrechtskonvention ist Kinderarbeit unter 14 Jahren verboten. Doch im globalen Süden ist und bleibt sie eine Herausforderung. Bolivien ist es trotz Bemühungen nicht gelungen, die 26 % arbeitenden Kinder im Land aus der Kinderarbeit herauszuholen. Unzählige arbeiten von klein auf, um Geld für sich und ihre Familien zu verdienen, aber auch für ihre persönliche Entwicklung. Ein neues Gesetz sieht nun in Ausnahmefällen die Senkung des Mindestalters auf 10 Jahre vor sowie bessere Schutzmechanismen und Schutzmaßnahmen. So müssen die Tätigkeiten bei einer Ombudsstelle registriert, soziale Leistungen, genügend Freizeit und der Schulbesuch garantiert sein.
Die Grundidee des Gesetzes geht auf die Forderungen der NATs ein. Es war ihr Ziel, die Kinderarbeit im Allgemeinen nicht abzuschaffen, sondern einen gesetzlichen Rahmen zu setzen, um die Kinder vor Ausbeutung zu schützen. Für den Gesetzentwurf hatte man die Kinder als Stakeholder miteinbezogen. Ein weltweit einmaliger Vorgang!
terre des hommes unterstützt das. Die Hilfsorganisation möchte den Kindern Gehör verschaffen. Deshalb fördert, vernetzt und berät sie einheimische Initiativen. Ein striktes Verbot in gewissen regionalen Kontexten führe eher zu einer Verschlechterung für die Kinder. Das Wichtigste sei doch, dass die Kinder und Jugendlichen neben der Arbeit auch Lernen können und sich organisieren, um selbst für ihre Interessen einzutreten, so ein Sprecher der Organisation.
Kinderrechte in Bolivien - Die stolzen Kindergewerkschaftler von Potosí
Ich möchte die kleinen und großen Gewerkschaftler kennenlernen, von denen ich schon so viel gehört hab. Mit NATs Sozialarbeiterin Luz Rivera und ihrer Kollegin Cristina Cardozo von der terre des hommes Partnerorganisation PASOCAP treffe ich mich in Potosí. Die beiden sind mitte 40 und echte Powerfrauen. Auf dem Weg ins NATs Büro, reden wir über Kinderrechte in Bolivien, über ihre Arbeit und über die jungen Gewerkschaftler. Ich erfahre, wie ein ganz normaler Tag im Leben der Kinderarbeiter aussieht: Entweder gehen sie morgens, mittags oder abends in die Schule. In der übrigen Zeit arbeiten sie und kommen ins NATs Büro, wo sie spielen, Hausaufgaben machen und das Internet nutzen können.
In der Kinderbäckerei
Im Haus nebenan befindet sich die von terre des hommes mitfinanzierte Kinderbäckerei. Vor der Tür treffen wir zwei junge Damen. Sie sind ehemalige Kinderarbeiterinnen, NATs Gewerkschaftlerinnen und Begründerinnen der Bäckerei. Ihre Idee war es, Jugendliche zum Konditor oder Bäcker auszubilden, damit sie eine Alternative zu der gefährlichen Minenarbeit haben. Heute läuft die Bäckerei von allein und die jungen Frauen studieren Betriebswirtschaft und Architektur. Wir laufen durch die Bäckerei. Drei Kinder sind gerade vor Ort und schieben eine Ladung Teigröllchen in den Ofen. Eine bereits fertige Ladung mit frisch gebackenen, köstlich riechenden Brötchen wird aus dem Ofen gezogen. Mmmhh... lecker, wie das duftet!
Die Kleinen ganz Groß
Anschließend fahren wir durch ganz Potosí, um die NATs Kinder in den Schulen zu treffen. Der Schuldirektor weiß, welche seiner Kinder der NATs angehören und trommelt sie zusammen. Wir setzen uns in eine Runde und unterhalten uns. Spätestens wenn ich erzähle, dass ich aus Deutschland bin und in unserem Südamerika Blog über sie berichten werde, bekommen die Kinder große Augen! "Ein Artikel? In Deutschland? Über uns?" Die kleineren sind noch etwas schüchtern und genieren sich vor der großen Gruppe zu sprechen. Die Großen aber reden bereits wie junge Erwachsene. Sie erzählen von ihren Erfahrungen, was ihnen wichtig ist und was sie sich für die Zukunft wünschen. Ich bin beeindruckt von ihrem Auftreten.
Seid ganz nah dabei bei meinem Treffen mit den NATs Vertretern in den Schulen von Potosí.
In einer Schule am Cerro Rico
In einer Schule am Fuße des Cerro Ricos, wo einige der Kinder harte Jobs wie Mechaniker oder Minenarbeiter ausüben, kommt es zu einem interessanten Austausch. Zwei der Jungs fragen, wie Kinderarbeit in Deutschland geregelt ist. Ich sage ihnen, dass man erst ab 16 arbeiten darf. Die Erwachsenen machen die Gesetze, Kindergewerkschaften gibt es nicht. In Sachen Partizipation könnte sich Deutschland jedoch eine Scheibe von Bolivien abschneiden. So sehen das die NATs Kids auch und deshalb nehmen sie die Gewerkschaft auch so ernst. Die arbeitenden Kinder fordern in ihren Gewerkschaften vor allem Gehör und Mitsprache, wenn Erwachsene über ihre Belange entscheiden. Hier kontrolliert man sich gegenseitig und entwickelt frühzeitig ein eigenes Verantwortungsgefühl. Sie sind unabhängig und lernen das wahre Leben kennen.
Kindergewerkschaftstreffen
Am letzten Abend darf ich sogar bei einem NATs Meeting dabei sein. Dieses Treffen haben die älteren NATs Mitglieder geplant. Sie sind schon lange dabei. Sie waren es auch, die maßgeblich bei dem besagten Gesetz mitgewirkt haben. Im Gespräch mit ihnen wird klar, dass NATs Kinder Träume haben und dafür kämpfen. Sie studieren, machen Karriere oder wollen die Welt sehen. Ich spreche mit Ernesto. Er studiert noch, arbeitet nebenbei in einem Hotel und lernt englisch. Er ist Anfang 20 und träumt davon, zu reisen: "3 Monate Backpacking in Europa". Ich begreife: Für diese Kids ist das frühe Arbeiten keine Endstation, sondern Sprungbrett in eine bessere Zukunft.
Kinderrechte in Bolivien - Blick in die Zukunft
Die Arbeit der Kindergewerkschaftler war ein großer Erfolg. Ihre Arbeit ist jedoch noch nicht beendet. Denn immer noch arbeiten viele Kinder in der Mine. Auch haben die lokalen Ombudsstellen, die für eine Registrierung und Kontrolle der Kinderarbeit zuständig sind, nicht die notwendigen Ressourcen. Die Regierung ist deshalb auf Unterstützung angewiesen. Doch ausländische Hilfe kam bislang nicht bei den Familien an, da die internationale Gesellschaft strikt gegen Kinderarbeit und das bolivianische Gesetz ist.
Sozialarbeiterin Luz hat ein klares Bild der bolivianischen Realität: "Sie arbeiten und sie werden nicht damit aufhören, solange die sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen Entwicklungsländern wie Bolivien nicht erlauben, sich weiterzuentwickeln. Die europäische Vision des Kindes, das nicht arbeitet und seine Zeit mit Spielen und Lernen verbringen darf - das ist nicht das Ideal der Bolivianer!" Die Kinder, die sich in Potosí und anderswo organisieren, tun das zweifellos aus eigenem Antrieb. Ihre Situation zwingt sie dazu, schneller erwachsen zu werden als Altersgenossen im Westen. Sie ergreifen die Initiative und kämpfen für ihre Rechte und ihren Schutz. Vom 16. – 21. Oktober 2017 treffen sich die jungen Gewerkschaftsvertreter in La Paz mit Wissenschaftlern und andere Fachleuten aus vier Kontinenten, um Konzepte und Praxis des Schutzes und der Förderung ihrer Rechte zu diskutieren.
In diesem 360° Bild am Busbahnhof in Potosí habe ich einige Grundschüler getroffen. Hier steigen sie in die Busse und singen und tanzen für die Reisenden, um sich ein paar Bolivianos für ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Mich haben die jungen Erwachsenen von Potosí mit ihrem selbstbewussten Auftreten sehr beeindruckt. Wart ihr auch schon einmal in Bolivien und habt berührende Begegnungen gemacht? Erzählt uns eure Geschichten.
Erfahrt mehr über die Projekte von terre des hommes oder macht mit bei der Kampagne wie weit würdest du gehen anlässlich des 50jährigen Jubiläums von terre des hommes Deutschland e.V.
Auch Viventura unterstützt soziale Initiativen in Südamerika in seinem eigenen Verein viSozial. Falls ihr euch auch engagieren wollt, schaut doch mal vorbei und werdet viSozial Botschafter. Oder besucht ein viSozial Projekt am Titicacasee auf unserer Best of Südamerika Reise.